Handlung gefragt: Was bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch zu tun ist 

„Ich hätte mir gewünscht, dass die Menschen aus meinem Umfeld mich einfach mal fragen, wie es mir geht und ob zu Hause alles in Ordnung ist. Es gab so viele Momente in meinem Leben, in denen deutlich wurde, dass mit mir etwas nicht stimmt.“ Lisa Fahrig, Mitglied des Betroffenenrats beim Hilfeportal Sexueller Missbrauch, gehört zu den 7 bis 8 von 100 Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erleben mussten. Und es ist genau dieses Zitat, welches nicht nur das generell gesellschaftliche Problem des fehlenden Wissens über sexuellen Kindesmissbrauch deutlich macht (-> interessierte Leser/innen finden hier einen Artikel zu diesem Thema), sondern auch ein weiteres offenbart: das Verständnis dafür, welche Maßnahmen im Ernstfall zu ergreifen sind.

Was also tun bei Vermutung und Verdacht auf sexuellen Missbrauch? Dazu steht der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Frage und Antwort. 

Woran erkenne ich, dass ein Kind oder ein/e Jugendliche/r sexuell missbraucht wurde?

Sexuellen Missbrauch zu erkennen ist schwierig, da es keine eindeutigen Anzeichen gibt. Verhaltensänderungen bei Kindern und Jugendlichen, wie Ängstlichkeit (28%), Aggressivität (21%), posttraumatische Symptome (53%), generelle Verhaltensschwierigkeiten (37%), gesundheitliche Probleme oder sexualisiertes Verhalten (28%), können jedoch Hinweise sein (-> interessierte Leser/innen findenhier einen Artikel zu diesem Thema). Obwohl diese Auffälligkeiten auch andere Ursachen haben können, sollten Erwachsene aufmerksam sein, Veränderungen ernst nehmen und betroffene Kinder und Jugendliche darauf ansprechen.

Wie gehe ich mit einem Kind um, wenn ich sexuellen Missbrauch vermute?

Wenn ein Kind Vertrauen zu jemandem aufbauen soll, ist es wichtig, dass diese Person sich Zeit nimmt und Unterstützung anbietet. Eine offene Haltung und das Vermeiden von voreingenommenen, geschlossenen Fragen (z.B. „Hat die Person dir weh getan?“) sind dabei entscheidend. Offene Fragen hingegen (“Wie geht es dir? Was habt ihr zusammen gemacht? Was ist dann passiert?”) helfen dem Kind, mit eigenen Worten von einer Situation zu erzählen und eröffnen somit Möglichkeiten und Ansatzpunkte für Hilfe. Des Weiteren sollte das Kind nicht gedrängt und seine Grenzen respektiert werden. Falls ein Kind über Missbrauch spricht, sollten keine Details erfragt werden, da eine angemessene Befragung Fachleuten überlassen werden sollte. Die Rolle der unterstützenden Person besteht darin, für das Kind da zu sein und Hilfe anzubieten. Bei Gesprächen mit Jugendlichen sollte deren individuelle kognitive und emotionale Entwicklung sowie Lebenserfahrungen berücksichtigt werden.

Wie reagiere ich, wenn sich ein Kind mir anvertraut?

Wenn ein Kind sich anvertraut, sollte ihm Glauben geschenkt und sein/ihr Mut gelobt werden. Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und dem Kind zu signalisieren, dass man an seiner Seite steht. Man sollte sich Zeit nehmen, um über die nächsten Schritte nachzudenken und das Kind über diese informieren. Eine Vermeidung des Versprechens zur Geheimhaltung ist ebenfalls sinnvoll, da dies anderenfalls die Möglichkeit, Hilfe zu bieten, einschränken könnte. Alle Beobachtungen und Aussagen der Betroffenen sollten schriftlich festgehalten werden. Bei Jugendlichen sollte darauf geachtet werden, sie stärker in den Interventionsprozess einzubeziehen, um ihrer Selbstbestimmung gerecht zu werden.

Wo finde ich Unterstützung, um zu helfen?

Wenn jemand auf sexuellen Missbrauch aufmerksam wird, sollte er nicht allein handeln, sondern professionelle Hilfe suchen, beispielsweise beim Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch, der Nummer gegen Kummer oder eine der unzähligen Fachberatungsstellen aus unserem Kinderschutzverzeichnis. Diese Einrichtungen bieten Unterstützung bei der Planung weiterer Schritte und vermitteln lokale Anlaufstellen. Bei Verdacht auf Missbrauch innerhalb der Familie ist es wichtig, Jugendamt, Familiengericht oder Polizei einzuschalten, um angemessene Schutzmaßnahmen für das betroffene Kind zu ergreifen.

Muss ich anzeigen, wenn ich einen Verdacht habe?

Es besteht keine Pflicht, einen Verdacht bei der Polizei anzuzeigen. Die Entscheidung, ob eine Anzeige erstattet wird, sollte vom betroffenen Kind oder Jugendlichen und deren sorgeberechtigten Personen getroffen werden, solange diese nicht selbst im Verdacht stehen. Wenn jedoch die unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben eines Kindes besteht, sollte die Polizei informiert werden.

Wie gehe ich mit einem möglichen Täter, einer möglichen Täterin um?

Die Frage, wie man mit einem Verdacht umgehen sollte, wenn man den mutmaßlichen Täter oder die mutmaßliche Täterin gut kennt, ist für viele Menschen eine große Herausforderung. Wichtig ist, in solchen Situationen Ruhe zu bewahren und die betreffende Person nicht sofort mit dem Verdacht zu konfrontieren. Stattdessen sollte man sich zunächst Unterstützung suchen. Bevor potenzielle Täter oder Täterinnen von dem Verdacht erfahren, muss das betroffene Kind oder der betroffene Jugendliche vor ihnen geschützt werden. Andernfalls besteht das Risiko, dass der mutmaßliche Täter oder die mutmaßliche Täterin Druck auf das Kind oder den Jugendlichen ausübt und ihn oder sie zum Schweigen bringt. Dies trifft auch auf Familienmitglieder, Freunde, Bekannte, Kollegen und andere Personen aus dem persönlichen Umfeld zu.

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

Kommentar verfassen