Eine Form der sexualisierten Gewalt ist die Sexualisierung von Kindern in den (Online-) Medien bzw. in der Werbung. Dieses kontroverse Thema beschäftigt Forscher weltweit ca. seit Beginn der 2000er.
So wurden z. B. im Rahmen einer Untersuchung der spanischen Medienlandschaft im Jahr 2016 einige typischen Merkmale definiert und Häufigkeiten der Sexualisierung von Kindern durch Modebrands und Magazine analysiert.
Im folgenden Gastbeitrag der Initiative “act & protect“ greifen Verena Arps-Roelle, Iris Kaufmann und Henriette Schilling das Thema anhand eines aktuellen Beispiels aus der Modewelt auf. Was darf Werbung?
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Gewalt gegen Kinder findet überall statt.
Anfang 2020 schrieb die WHO: “Jahr für Jahr erleiden mindestens 55 Mio. Kinder in der Europäischen Region der WHO in irgendeiner Form körperliche, sexuelle, emotionale oder physische Gewalt. Trotz dieser Größenordnung gilt als sicher, dass die Dunkelziffer für zwischenmenschliche Gewalt deutlich höher liegt.“ Diese Zahlen haben sich durch die COVID-19 Pandemie und deren Konsequenzen weiter erhöht.
Aspekte von Gewalt gegen Kinder begegnen uns täglich. Zum Beispiel in Werbung. Sexualisierende Gewalt von Kindern findet unter den Augen der Öffentlichkeit statt. Sie wird nicht unmittelbar als solche erkannt. Sie wird häufig nicht als illegal bewertet oder geahndet. Doch nur weil es rechtlich nicht strafbar ist, ist es dennoch nicht richtig. Denn Kinder brauchen umfassenden Schutz, der sie wertschätzt, den Erhalt ihrer Würde und ihre psychische Gesundheit gewährleistet.
Wo also fängt Missbrauch an?
Ein Beispiel bieten Bilder des Konzerns Zara SE für Mädchen-Sportkleidung im Herbst 2021.
Die Bilder zeigen minderjährige Models in engen Leggings und engen bauchfreien Tops mit weit gespreizten Beinen und durchgedrücktem Rücken. Der Fokus und die Blickführung liegt im offenen Schritt. Die Kinder werden von Erwachsenen für erwachsene Konsumenten fotografiert. Erwachsene jedoch sollten Kinder niemals so inszenieren. Auch wenn Kinder durch Anleitung von Erwachsenen die Posen ganz unschuldig und harmlos einnehmen, bieten sie Spielraum für Interpretationen.
Die Sexualisierung des Ausdrucks, der Körperhaltung, der Kleidung, des gewählten Bildausschnitts und der Blickführung stellen eine Form des Übergriffs auf diese Kinder dar. Die Fotos bergen eine große Gefahr für die in ihnen abgebildeten Kinder. Die Bilder können bearbeitet werden, besonders durch Deepfakes, und erlangen eine Reichweite auf Plattformen, für die sie nicht gedacht sind. Das Betrachten solcher Bilder kann Betroffene triggern und retraumatisieren. Und wirkt auch auf tatgeneigte Personen.
Zara SA hat die von Verena Arps-Roelle auf Linkedin zur Diskussion gestellten Bilder mittlerweile gelöscht und einen Teil der Problematik eingestanden: “Als Unternehmen nehmen wir die Bedürfnisse all unserer Stakeholder sehr ernst, mit dem Ziel unsere Arbeit stetig zu verbessern.” Dennoch sind kurz darauf weitere gefährdende Bilder im Onlineshop und auf Instagram von Zara SA aufgetaucht.
Wo liegt das Problem?
Täter*innen sind schwer zu erkennen und agieren grenzwertig legal, oft gedeckelt durch künstlerische Freiheit. Doch ihre Bilder liefern Futter für pädokriminelle Täter*innen. Die betroffenen Kinder müssen sich grenzwertigen Situationen aussetzen. Für die sie sich später schämen, für die sie gehänselt werden oder welche als Bilder auf pornografischen Seiten landen.
Wenn also Unternehmen es selbst nicht tun, wie können wir als Konsument*innen vor Missbrauch schützen?
Was können wir tun?
Wir können eine schützende Haltung entwicklen. Wir können uns und andere informieren und sensibilisieren. Indem wir unsere Wahrnehmung schärfen und miteinander über das Thema sexualisierende Gewalt sprechen. Wir können aufrütteln und unsere Empörung in Handlung umsetzen. Wir können ein Verständnis für Prävention entwickeln. In Familie, Kitas, Schulen und Sportvereinen. Wir können uns Einzelpersonen und als Gesellschaft klar gegen Gewalt positionieren und konsequent gegen jede Form von Gewalt vorgehen.
Henriette Schilling, Iris Kaufmann und Verena Arps-Roelle haben dafür die Initiative act & protect gegründet. Um auf Facebook, Instagram und LinkedIn interessierte Menschen zusammenzubringen. Um zu informieren, aufzuklären und zu sensibilisieren. Um gemeinsam gegen sexualisierende Gewalt vorzugehen.
Hilfe bei Gewalterfahrungen und Prävention bietet das Hilfetelefon unter 0800 116 016 oder www.hilfetelefon.de. 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr, anonym, mehrsprachig, barrierefrei kostenfrei und vertraulich.