“Sexueller Kindesmissbrauch bleibt häufig im Verborgenen”, warnt die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Vorfälle, die den Behörden nicht bekannt gemacht werden, bilden das sogenannte Dunkelfeld. Das impliziert, dass die tatsächlich verübten Straftaten weit über die offiziell registrierten Fälle (Hellfeld) hinausgehen. Als Beispiel: Während 2022 insgesamt 15.520 Missbrauchsfälle erfasst wurden, sollte diese Zahl lediglich als unterste Grenze der tatsächlichen Fälle betrachtet werden.
Im Folgenden werden detaillierte Zahlen und Fakten zum Anzeigeverhalten der Betroffenen von Kindesmissbrauch, sei es aktuell oder in der Vergangenheit, präsentiert.
Anzeigeverhalten bei Kindesmissbrauch: Eine Analyse der “Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011”
Die “Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011” fokussierte sich in Teilen ihrer Untersuchung auf das Anzeigeverhalten der befragten Opfer. Von den insgesamt 9.175 Betroffenen zeigte sich generell eine zurückhaltende Anzeigebereitschaft, wobei nur zwischen 11,9% und 18,4% Vorfälle meldeten. Insbesondere sexuelle Berührungen (SKM3) wurden mit einer Quote von 11,9% am seltensten angezeigt. Auffälligerweise war die Melderate bei Vorfällen, die vaginale oder anale Penetration (SKM5) oder das Entblößen des Täters (SKM1) betrafen, höher (18,3% bzw. 18,4%). Männer zeigten eine leicht höhere Bereitschaft, Penetrationsvorfälle zu melden (20,0% gegenüber 18,1% bei Frauen), während Frauen bei anderen Missbrauchsformen wie Entblößen und sexueller Berührung aktiver waren.
Beim Vergleich von Exhibitionismus, Missbrauch durch Körperkontakt und anderen sexuellen Handlungen stellte sich heraus, dass geschlechtsspezifische Unterschiede beim Missbrauch durch Körperkontakt weniger ausgeprägt sind als beim Exhibitionismus. Generell tendieren Frauen dazu, weniger gravierende Missbrauchsfälle häufiger zu melden, während bei schwerwiegenderen Fällen mit Körperkontakt die Anzeigebereitschaft von Männern und Frauen ähnlicher ist.
Zusätzlich wurde der potenzielle Einfluss der Missbrauchsdauer auf die Anzeigebereitschaft untersucht. Es zeigte sich jedoch kein statistisch signifikanter Zusammenhang. Aufgrund der niedrigen Fallzahlen in einigen Kategorien war es zudem schwierig, klare Muster zu erkennen.
(Einflussfaktoren auf das) Anzeigeverhalten bei sexuellem Missbrauch: Erkenntnisse aus der DASsS-Studie
Die Universität Heidelberg führte die DASsS-Studie durch, die sich intensiv mit sexueller Grenzverletzung und Gewalt auseinandersetzte. Insgesamt nahmen 1.406 Erwachsene teil, die in ihrem Leben mindestens einmal derartige Vorfälle erlebt hatten. Während die Daten nicht klar angeben, wie viele dieser Personen als Kinder oder Jugendliche Missbrauch erlebten, gab es sieben Minderjährige unter den Befragten, obwohl sich die Studie primär an Erwachsene richtete. Unter der Berücksichtigung, dass laut des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs jede/r siebte bis achte Erwachsene in seiner Kindheit oder Jugend einen Missbrauch erlebte, liefern die Studienergebnisse dennoch wertvolle Einblicke in das Anzeigeverhalten Betroffener.
Interessanterweise zeigte sich, dass 77,1 % (N=1007) der Teilnehmer ihre Erfahrungen nicht bei den Behörden meldeten, was dem sogenannten Dunkelfeld zuzuordnen ist. Demgegenüber standen 22,9 % (N=399), die einen offiziellen Vorfall meldeten oder bei denen in 8 Fällen behördlich ermittelt wurde, was dem Hellfeld zugeordnet wird.
Im Fokus der Studie stand die Frage, welche Faktoren die Entscheidung beeinflussen, eine Anzeige zu erstatten oder nicht. Es stellte sich heraus, dass viele Betroffene aus Mangel an Beweisen (Mittelwert 4,01) von einer Anzeige absahen. Umgekehrt meldeten Betroffene Vorfälle häufig, um andere vor dem Täter oder der Täterin zu schützen (Mittelwert 4,21). Es darf trotz all dem nicht übersehen werden, dass es Betroffenen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, oft auch einfach schwerfällt, das Erlebte zu artikulieren (-> interessierte Leser/innen finden hier einen Artikel zu diesem Thema).
Fazit: Die überwiegende Mehrheit der (Kindes-)Missbrauchsfälle wird nicht angezeigt und infolgedessen strafrechtlich verfolgt. Das tatsächliche Ausmaß der Betroffenen und die Anzahl nicht identifizierter Täterinnen und Täter bleibt besorgniserregend und weitaus größer als die offiziellen Zahlen vermuten lassen.