Die Kindheit von Kindern mit Behinderung: Gewalt und Belastungen im Fokus

Kinder mit Behinderung sind häufiger von Gewalt und Missbrauch betroffen als Kinder ohne Behinderung. Unsere vorherige Recherche deutet auf Abhängigkeit, Fremdbestimmung und fehlende Aufklärung als Hauptursachen hin. Es stellt sich nun die Frage, wie sicher und vor allem gewaltfrei Kinder mit Behinderung tatsächlich aufwachsen. Dazu wird die Studie “Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland“ erneut betrachtet.

Das Umfeld, in dem Kinder mit Behinderung aufwachsen 

Die vorliegende Studie zeigt, dass fast alle befragten Frauen (98%) bei einem oder beiden leiblichen Elternteilen aufgewachsen sind. Auch bei den Frauen in Einrichtungen mit allgemeiner Sprache lag die Zahl hoch, wo etwa 86–87% bei ihren Eltern aufwuchsen. Eine interessante Entdeckung ist, dass die Frauen, die in Einrichtungen einfacher Sprache befragt wurden, sich von den anderen Befragungsgruppen unterschieden. Von ihnen gaben 51% an, hauptsächlich bei nur einem leiblichen Elternteil aufgewachsen zu sein. Zusätzlich lebten diese während ihrer Kindheit und Jugend öfter ganz oder teilweise in einem Heim oder einer Einrichtung (16%), verglichen mit den Frauen in allgemeiner Sprache befragten Einrichtungen (8%) oder den Frauen in Haushalten (2%).

Kinder mit Behinderung Aufwachsen
Quelle: „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland“ I S. 67
Das Verhalten, dem Eltern ihrem Kind mit Behinderung entgegenbringen

Die Fragen zum Verhalten der Eltern in Kindheit und Jugend wurden nur Frauen mit Behinderung gestellt, die bei einem oder beiden Elternteilen aufwuchsen. Frauen in Haushalten und Einrichtungen mit vereinfachter Sprache erfuhren häufiger Unterstützung und Förderung durch ihre Eltern als psychisch erkrankte Frauen in allgemeiner Sprache in Einrichtungen (70-76% vs. 59%). Von den Frauen in Einrichtungen vereinfachter Sprache gaben 61% an, dass ihre Eltern viel mit ihnen gelernt hätten, im Vergleich zu 35-36% bei den anderen Gruppen.

Etwa jede 6. bis 7. befragte Frau (15-16%) gab an, dass ihre Eltern versuchten, ihre Behinderung zu verstecken und 6-10% wurden zu ungewollten Behandlungen gedrängt. Grobe und lieblose Behandlung in Kindheit und Jugend wurde von 12% der Befragten in Einrichtungen vereinfachter Sprache, 24% jener in Haushalten und 36% von Frauen in Einrichtungen allgemeiner Sprache berichtet. 27% der Befragten in Haushalten und 41% in Einrichtungen (allgemeine Sprache) fühlten sich nicht als normales Mädchen oder Frau vermittelt.

Die hohe Belastung in der Kindheit und Jugend zeigt sich deutlich und insbesondere bei Frauen, die in Haushalten und Einrichtungen in allgemeiner Sprache befragt wurden. Von diesen Frauen, die bereits in der Kindheit und Jugend eine Behinderung hatten, gaben 40–48% an, dass sie eine eher nicht so glückliche Kindheit erlebt haben.

Die Gewalterfahrungen, die Betroffene in Kindheit und Jugend erlebten

Der Eindruck einer belastenden Kindheit verstärkt sich weiter, wenn man die Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend betrachtet. Fokussieren wir uns dazu auf die körperliche und psychische Gewalt durch Eltern. Die unten aufgeführte Grafik verdeutlicht, dass in fast allen Kategorien signifikant mehr Frauen Erfahrungen mit psychischer oder körperlicher Gewalt gemacht haben im Vergleich zur Frauenstudie von 2004.

Beispielhaft gaben 41% der Frauen in allgemeinen Einrichtungen, 30% in Haushalten und 16% in Einrichtungen mit leichter Sprache an, dass sie “lächerlich gemacht/gedemütigt” worden seien (im Vergleich zu 18% in der Frauenstudie von 2004). Zudem berichteten 43% (Einrichtungen allgemeine Sprache) bzw. 39% (Haushalte) und 20% (Einrichtungen leichte Sprache), dass sie “so behandelt wurden, dass es seelisch verletzend war” (im Vergleich zu 23% in der Frauenstudie von 2004).

Im Bereich körperlicher Gewalt sticht besonders hervor, dass 52% der Frauen in Haushalten sowie 47% in Einrichtungen allgemeiner Sprache und 28% in Einrichtungen leichter Sprache angaben, “leicht geohrfeigt” worden zu sein. Dies ist im Vergleich zur Frauenstudie von 2004 (58%) leicht rückläufig. Dafür erlebten insgesamt 58% der Frauen in Einrichtungen allgemeiner Sprache “einen strafenden Klaps auf den Po”, in Haushalten betraf dies 53% der Befragten und in Einrichtungen mit leichter Sprache 34%. Auch hier ist insgesamt ein leichter Rückgang im Vergleich zur Studie von 2004 (61%) zu verzeichnen. Alle anderen Kategorien körperlicher Gewalt weisen jedoch einen Zuwachs im Vergleich zur Studie 2004 auf. 

Die niedrigeren Anteile der Frauen in einfacher Sprache könnten daran liegen, dass das Erinnerungsvermögen eingeschränkt ist oder die Fragen zu geringerer Offenlegung von Gewalt geführt haben. Es ist auch möglich, dass deren Eltern weniger Gewalt ausgeübt haben, da sie positiver beschrieben wurden.

Kinder mit Behinderung Körperliche Psychische Gewalt
Quelle: „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland“ I S. 156

Fazit: Die Studie zeigt, dass die Kindheit von Kindern mit Behinderung häufig von Gewalt und Belastungen geprägt ist. Es ist dringend notwendig, Schutzmaßnahmen zu stärken und die Aufklärung über ihre Rechte zu verbessern, um ihnen eine sichere und behütete Kindheit zu ermöglichen. Eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Gesellschaft und Fachkräften ist entscheidend, um diese vulnerable Gruppe zu schützen und zu unterstützen.

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

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