Kindesmissbrauch betrifft laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa ein bis zwei Schüler/innen in jeder Schulklasse in Deutschland – so der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Das sind aktuell 1 Million Kinder. Oftmals bleiben diese Taten jedoch unentdeckt, belasten die Betroffenen ein Leben lang. Umso wichtiger ist es deshalb, bereits erste Anzeichen eines möglichen sexuellen Missbrauchs erkennen zu können.
Kindesmissbrauch erkennen: Die Problematik
Gerade im “Erkennen” liegt nach Aussage der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland das Problem: Denn die Palette der möglichen Anzeichen für sexuellen Missbrauch ist groß und unspezifisch, so dass es für Eltern und Bezugspersonen schwierig ist, Hinweise richtig einzuordnen. Und nicht jedes Anzeichen ist gleich als sexueller Missbrauch zu werten – auch andere belastende Erfahrungen können Ursache sein. Zwei Bereiche stellen die Berufsverbände in den Fokus: körperliche Verletzungen sowie Verhaltensänderungen und psychosomatische Symptome.
Körperliche Verletzungen bei Kindesmissbrauch kaum zuordenbar
Typische körperliche Verletzungen können am Gesäß und Rücken, im Genitalbereich oder an der Innenfläche der Oberschenkel auftreten. „Es gibt [aber] kaum eindeutige Symptome. Nur selten sind körperliche Verletzungen […] erkennbar, die direkt und „eindeutig“ auf sexuellen Missbrauch hinweisen“, so der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Verhaltensänderungen und psychosomatische Symptome als Hinweis auf sexuellen Kindesmissbrauch
1993 befassten sich Mitarbeiter/innen der University of New Hampshire genauer mit den psychischen Symptomen betroffener Kinder. Dazu wurden die Daten von insgesamt 45 Studien ausgewertet und miteinander verglichen. Die Studie ist heute Grundlage vieler Behandlungsansätze und Aufklärungsarbeiten. Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse der Analyse.

Eindeutig erkennbar ist, dass sexuell missbrauchte Kinder Verhaltensänderungen zeigen. Diese äußern sich bei mehr als jedem dritten Kind in generellen Verhaltensschwierigkeiten (37%) und Promiskuität (38%). Jedes zweite Kind zeigt Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung (53%), wie zum Beispiel Albträume (31%). Hervorzuheben ist auch, dass 35% aller Betroffenen eine geringere Selbstachtung darlegen. Zudem spielen Furcht (33%) und Angst (28%) eine große Rolle bei der Identifizierung eines möglichen sexuellen Kindesmissbrauchs.
Neben einer langen Liste an weiteren Verhaltensänderungen können aber auch psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen und Schlafstörungen oder Hauterkrankungen Anzeichen sein. Gerade bei jüngeren Kindern sollte Alarm geschlagen werden, wenn diese sich plötzlich sehr stark an Bezugspersonen klammern oder wieder einnässen und -koten sowie Zärtlichkeiten ablehnen.
Nicht jedes Kind verändert sich
Wichtig zu betonen ist, dass sich nicht jedes Kind durch sexuellen Missbrauch verändert. Manche versuchen mit aller Kraft nicht aufzufallen, weil sie die Konsequenzen der Aufdeckung zu stark fürchten. Auch die Angst, dass das Erlebte auf Ablehnung oder Missglaube stößt, lässt viele Betroffene auffällige Verhaltensweisen unterdrücken.
In jedem Fall gilt: Das Kind ernst nehmen und bei Verdacht verstärkt auf offene oder verdeckte Hilferufe achten.