Kindesmissbrauch: Eine Geschlechter-Frage?

Kindesmissbrauch wird sowohl von männlichen als auch weiblichen Tätern und Täterinnen begangen. „Sie stammen aus allen sozialen Schichten, leben hetero- oder homosexuell und unterscheiden sich durch kein äußeres Merkmal von nicht missbrauchenden Männern oder Frauen“, so der Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Und auch bei den betroffenen Kindern zeigt sich: Mädchen wie auch Jungen fallen zum Opfer sexuellen Missbrauchs. Doch offizielle Studien belegen eine klare Geschlechter-Tendenz. 

(Kindes)Missbrauch und das Geschlecht von Täter/innen

Die Aufarbeitungskommission ermittelte, dass sexueller Kindesmissbrauch vor allem durch Männer und männliche Jugendliche stattfindet – und zwar in 80 % bis 90 % der Fälle. Und auch der 2011 veröffentlichte “Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch” stützt dieses Faktum. So ergaben sich in allen unten aufgeführten Befragungen (n=407, n=473, n=111) ähnliche Muster bezüglich des Geschlechts der Täter/innen. Konzentrieren wir uns im Folgenden auf eine der drei Kategorien: den Missbrauch mit Körperkontakt. Wie die folgende Abbildung zeigt, erlebten die befragten Personen (Kindes)Missbrauch in 33,5% der Fälle durch eine bekannte männliche Person. Dazu ergänzen der eigene Vater als Täter (10,3%), der Stiefvater/Partner der Mutter (11,7%), Onkel (12,6%) und sonstige männliche Familienangehörige (10,3%) die Quote der männlichen Täter.

Und auch bei Täter/innen, die den Opfern nicht bekannt sind, handelt es sich in 23,3% der Fälle um eine männliche Person. Im Vergleich dazu zeigt die Statistik ebenso den Anteil weiblicher Täterinnen: Mit maximal 2,2% Gesamtanteil sind Frauen deutlich weniger Missbrauchstäterinnen. Allerdings gilt: Über missbrauchende Frauen wurde in Deutschland bislang wenig geforscht. Es ist jedoch anzunehmen, dass durch Frauen ausgeübte Taten seltener entdeckt werden, weil diese ihnen kaum zugetraut werden.

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, KFN, 2011, S.29

( -> Hinweis: Mehrfachnennungen möglich. Bei den befragten Personen handelt es sich auch, aber nicht ausschließlich um betroffene Kinder und Jugendliche bzw. auch, aber nicht ausschließlich um Fälle in der Kindheit und Jugend.)

Warum sind Männer öfter Täter bei Kindesmissbrauch?

Der Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hebt hervor, dass der Wunsch, Macht auszuüben, ein wesentliches Motiv von Tätern darstellt. Es vermittelt den Männern ein Gefühl von Überlegenheit. Auch die sexuelle Fixierung auf Kinder (Pädosexualität) kann ein ausschlaggebender Grund für die Tatbegehung sein. Wichtig zu betonen ist, dass nicht alle Täter als „psychisch krank“ stigmatisiert werden können und sollten – denn das kann zu einer Verantwortungsabnahme führen, die nicht gerechtfertigt ist. 

Mädchen eher betroffen als Jungen

In diesem Zusammenhang spielt auch die Geschlechter-Frage der Opfer eine wichtige Rolle. Dazu veröffentlichte das Bundeskriminalamt 2022 Daten, die die Anzahl der polizeilich erfassten betroffenen Kinder nach Geschlecht darstellt (2010-2021). Diese zeigt ein deutlich oppositäres Muster: Denn bei den von sexuellem Missbrauch betroffenen Kindern handelt es sich in zwei Drittel der Fälle um Mädchen und in einem Drittel um Jungen.

Quelle: BKA, PKS I 2022
Risikofaktor “weiblich”

Das weibliche Geschlecht gilt laut des Deutschen Jugendinstituts e.V. als Risikofaktor für sexuellen Kindesmissbrauch. Obwohl es bisher nur wenige Studien zu diesem Thema gibt, ist annehmbar, dass die Erziehung und auch gesellschaftliche Normen eine prägnante Rolle spielen. Mädchen werden oftmals Charaktereigenschaften wie „schwach“, „abhängig“ und „hilflos“ vermittelt, wohingegen Jungen „stark“ und „abgehärtet“ sein sollen. Im familiären Kontext gilt eine gestörte Vater-Tochter-Beziehung als Risiko (siehe: Kindesmissbrauch in der Familie: Der Vater als Täter). 

Aber: Es besteht die Vermutung, dass es Jungen wesentlich schwerer fällt, sich als Opfer sexueller Gewalt zu öffnen. Demnach scheint das Dunkelfeld in Bezug auf männliche Betroffene deutlich größer. 

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

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