Der Sport zählt laut der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Rund 75% der Mädchen und 87% der Jungen im Alter von 9–18 Jahren treiben regelmäßig Sport, jede/r Zweite ist sogar Mitglied in einem Sportverein. Das macht den Sportbereich hoch bedeutsam für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie werden hier nicht nur in ihrer körperlichen und motorischen Entwicklung gefördert, sondern lernen auch das Sozialverhalten.
Und genau in diesem Rahmen von Vertrauen und Gemeinschaft, Körperzentrierung und Abhängigkeitsverhältnissen, wird tagtäglich Kindesmissbrauch verübt und erlebt.
Aktueller Forschungsstand zu Kindesmissbrauch im Bereich Sport
Die Studienlage zu (insbesondere) sexueller Gewalt an Kindern im Sport ist relativ überschaubar: “Safe Sport“ gilt als das Projekt mit den ersten quantitativen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in diesem Kontext. Die Studie ergab, dass ein Drittel der befragten Athlet/innen (37,6 %) bereits sexueller Gewalt ausgesetzt waren – erstmalig als Minderjährige (durchschnittlich 17 Jahre). Ein weiteres Forschungsprojekt, die „SicherImSport“-Studie, die die gesamte Bandbreite des Vereinssports untersuchte, zeigt, dass 26% schon mindestens einmal sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen erlebt haben. Rund 19% gaben an, mindestens einmal sexuell belästigt worden zu sein oder Gewalt mit Körperkontakt erlebt zu haben. 2022 wurde zudem der Bericht des europäischen Projekts CASES (Child Abuse in Sport: European Statistics) für den deutschen Raum veröffentlicht, welcher die obigen Ergebnisse bestätigt. Auch hier berichteten mehr als drei Viertel der Befragten von mindestens einer Erfahrung mit interpersonaler Gewalt, 39% erlebten sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt und 26% mit Körperkontakt.
Verein mit Abstand häufigster Tatort
Die Fallstudie „Sexualisierte Gewalt und sexueller Kindesmissbrauch im Kontext des Sports“ der Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs ergänzt mit der Auswertung von insgesamt 72 Berichten die Datenlage zu diesem Thema.
Die Studie stellt dar, dass in 81% der Fälle (bei n=68) Kinder im Sportverein Gewalt ausgesetzt waren/sind – dabei mehr im Leistungs- und Wettkampf- als Freizeitsport. 9% der Kinder erlebten außerdem Gewalt im Schulsport. Die Universität, der extracurriculare Sport in der Schule (z.B. Schul-AGs), Olympiastützpunkte, Sportschulen sowie Internate und der Sportverband werden seltener als Kontext von Gewalt genannt.

Meist Mädchen (wiederholt) von Kindesmissbrauch im Sport betroffen
Die Studie ermittelt weiter, dass es sich bei den Missbrauchsfällen (n=72) in 75% um weibliche und 22% um männliche Opfer handelt. 3% machten keine Angabe. Zum Zeitpunkt der ersten Übergriffe waren die Betroffenen (n=66) durchschnittlich 11,5 Jahre alt, die Spannweite reicht von 2 bis 16 Jahren.
Die Häufigkeit, in der Erfahrungen dieser Art gemacht wurden, variiert dabei. Die meisten Kinder erlebten sexuelle Gewalt jedoch nicht nur einmal: 60% erfuhren regelmäßig Gewalt, 28% gaben an, „mehrere Male betroffen“ zu sein und 15% erlebten einmalige Gewalterfahrungen. Insgesamt erlebten außerdem 57% der Betroffenen länger als ein Jahr (sexuelle) Gewalt (n=67).
Sportart und Missbrauchsfälle – eine Tendenz
Die Untersuchungen lassen eine leichte Tendenz jener Sportart feststellen, in der Kinder am Häufigsten Missbrauch ausgesetzt sind: Turnen (17%). Die weiteren, meistgenannten Sportarten sind Fußball (10%), Judo, Reiten und Schwimmen (jeweils 7%). Jedoch ließ sich auch feststellen, dass knapp die Hälfte der Betroffenen in unterschiedlichen anderen Sportarten aktiv war/ist. Dies legt den Schluss nahe, dass sexualisierte Gewalt in den verschiedensten Sportarten vorkommt.

Die Falle der vertrauten Umgebung – Kindesmissbrauch im Zuhause
Schlussendlich sollte noch eine Ergebnis hervorgehoben werden, welches wiederkehrend in Recherchen aufkommt: Und das ist die direkte (!) Umgebung des Kindes als Ort des Missbrauchs (-> interessierte Leser/innen finden hier einen Artikel zu einem ähnlichen Thema). Der Studie zufolge ist auch im Sportbereich der meistgenannte Missbrauchsort das Zuhause der Kinder oder der Täter/innen (45%). Darauf folgen private Treffen (41%) und das Auto (29%), Umkleide, Dusche oder Sauna (27%) sowie das Trainingscamp (24%). Auch die konkrete Trainingsstätte (10%), der Hin- und Rückweg zu dieser (14%) und Wettkämpfe (12%) werden als Orte genannt, an denen sexuelle Gewalt und Kindesmissbrauch erlebt wurde.
