Kindesmissbrauch: Der (Miss)Erfolg von Prävention in Sportinternaten

Dass Gewalt und Kindesmissbrauch ein tagtäglicher Begleiter im Bereich Sport – einem Bereich, in dem es eigentlich um Vertrauen und Gemeinschaft geht – ist, zeigte bereits unser Artikel Kindesmissbrauch im Sport. Wie der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) nun aber in seinem Abschlussbericht veröffentlichte, scheinen Kinder und Jugendliche in einem Bereich besonders gefährdet zu sein: in Sportinternaten. 

Zahlen und Fakten zu Kindesmissbrauch in Sportinternaten

Im Forschungsprojekt “Safe Sport” wurde deshalb eine Umfrage unter Kaderathletinnen und Kaderathleten durchgeführt. Diese ergab, dass 37% der befragten Spitzensportlerinnen und Spitzensportler bereits eine Art von sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit dem Sport erlebt haben. Bei der ersten Erfahrung dieser Art von Gewalt waren die betroffenen Sportler/-innen durchschnittlich 17 Jahre alt. Dabei waren 10% der Betroffenen unter 14 Jahre und weitere 57% im Alter zwischen 14 und 17 Jahre.

Mehr Risikofaktoren für Kindesmissbrauch im Leistungs- als im Freizeitsport 

Im Leistungssport können Risikofaktoren wie körperzentriertes Handeln, enge Abhängigkeitsverhältnisse und Erfolgsorientierung zu riskantem Gesundheitsverhalten führen. Athlet/innen sind oft bereit, ihre Gesundheit für sportlichen Erfolg zu riskieren und hohe Kosten, sowohl ökonomisch als auch emotional, in ihre Karrieren zu investieren. In Sportinternaten erhöht sich der Leistungsdruck und die Verwundbarkeit der Athlet/innen, da sie ihre Legitimation zur Unterbringung aufgrund ihrer sportlichen Leistung erhalten und ihr soziales Netzwerk riskieren.

Einschätzung zur Prävention sexualisierter Gewalt in Sportinternaten

Gegeben die Zahlen und Risikofaktoren, wird die Notwendigkeit für umfassende Präventionsmaßnahmen umso größer. Um den aktuellen Status Quo dieses Thema zu ermitteln, analysierte der obige Abschlussbericht durch Internatsumfragen den Stellenwert des Themas in den jeweiligen Institutionen. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer/innen (82 %) ist der Meinung, dass die Prävention von sexualisierter Gewalt generell ein wichtiges Thema für Internate im organisierten Sport ist. Allerdings sehen nur 50 % diesbezüglich Relevanz für ihr eigenes Sportinternat. Über die Hälfte gibt an, dass die Prävention sexualisierter Gewalt zu den Verantwortlichkeiten und Aufgaben ihres Internats gehört und offen über dieses Thema sowie präventive Maßnahmen gesprochen wird. Fast die Hälfte (47 %) nimmt wahr, dass ihr Sportinternat aktiv gegen sexualisierte Gewalt vorgeht. 39 % der befragten Sportinternate schätzen sich selbst als über fundierte Kenntnisse zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt verfügend ein.

Quelle: „Einschätzungen zur Prävention sexualisierter Gewalt in den Sportinternaten“ I UBSKM & DJI I S. 89
Umsetzungsstand konkreter Präventionsmaßnahmen gegen Kindesmissbrauch

In Sportinternaten werden im Durchschnitt acht der 22 in der folgenden Abbildung gelisteten Präventionsmaßnahmen umgesetzt. Fünf dieser Maßnahmen sind in etwa drei Vierteln (74% bis 80%) der Internate implementiert, während die übrigen Maßnahmen in weniger als der Hälfte (maximal 46%) vorhanden sind. Die häufigste Maßnahme ist die verpflichtende Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses für Mitarbeiter im kinder- und jugendnahen Bereich (80%). Als zweithäufigste Maßnahme werden bei Problemen oder Verdachtsfällen externe Beratungsstellen hinzugezogen (79%). Ein Beschwerdemanagement für Kinder und Jugendliche (77%) sowie ein Sprechersystem oder eine Athletenvertretung (76%) sind ebenfalls mehrheitlich vorhanden. 74 % der Befragten geben an, dass in ihrem Sportinternat verbindliche Regeln zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen existieren, z. B. bezüglich des Betretens der Zimmer oder Beratungsgesprächen.

Bei den zusätzlichen Präventionsmaßnahmen lassen sich verschiedene Typen unterscheiden. Ein Bereich bezieht sich auf die Verankerung des Themas in formalen Dokumenten. Circa zwei Fünftel der befragten Sportinternate geben an, dass das Thema in der Satzung oder dem Leitbild (40%) sowie in zu unterzeichnenden Ehrenkodizes (41%) verankert ist. Im Gegensatz dazu wird es in Arbeitsverträgen der Mitarbeiter nur bei 6% berücksichtigt. Ein zweiter Bereich umfasst inhaltliche Konzepte im Kontext der Präventionsarbeit, wie Handlungs- oder sexualpädagogische Konzepte sowie Verfahrenspläne zum Umgang mit Verdachtsfällen oder Vorfällen. Hier liegen die Werte für das Vorhandensein zwischen 21% und 44%. Ein dritter Bereich bezieht sich auf Präventionsmaßnahmen zur Informationsweitergabe bezüglich der Prävention sexualisierter Gewalt, wie regelmäßige Informationen an Mitarbeiter oder Eltern. In diesem Bereich liegen die Werte für das Vorhandensein zwischen 19% und 46%.

Quelle: „Umsetzungsstand von Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt an den Sportinternaten“ I UBSKM & DJI I S. 92

Fazit: Obwohl die Prävention sexualisierter Gewalt generell als bedeutend für Sportinternate erachtet wird, halten lediglich 50% dies für ihr eigenes Internat für erforderlich. Dies verdeutlicht erneut das mangelnde Bewusstsein und die fehlende Sensibilität hinsichtlich des Themas Kindesmissbrauch. Zwar sind grundlegende Schutzmaßnahmen in der Mehrheit der Internate vorhanden, jedoch viele weitere Maßnahmen in zahlreichen Einrichtungen nicht einmal in Planung.

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

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