Kindesmissbrauch: Ein Versuch, zu kommunizieren 

Jeder Mensch, der Traumatisches erlebt hat, verarbeitet das Geschehene auf eine andere Weise. Dem Anschein nach haben es Erwachsene dabei oft leichter als Kinder, denn sie wissen sich in den meisten Fällen auszudrücken und das Erlebte besser einzuordnen, erscheinen glaubwürdiger. Kinder und Jugendliche stehen somit auch in diesem Bereich vor unzähligen Hürden. Insbesondere, wenn es sich im Falle der traumatischen Erfahrung um Missbrauch handelt. Denn eine der größten Hürden ist wohl die Kommunikation darüber. 

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs forschte zusammen mit der Goethe Universität Frankfurt am Main für die Studie „Sexuelle Gewalt in der Familie“ mithilfe zweier Leitfragen unter anderem zu genau diesem Thema.

An wen haben sich die Kinder und Jugendlichen nach dem Missbrauch gewandt?

Zunächst wurden die insgesamt 870 Betroffenen (heute Erwachsenen, die als Kind oder Jugendliche/r sexuellen Missbrauch erlebten) dazu befragt, ob und an wen sie sich nach der Tat gewandt haben. Etwa 55 % – und damit jede/r Zweite – gaben dabei keine Nennung zu konkreten Personen an. Es ist also davon auszugehen, dass die Betroffenen bis dato mit niemanden über die Tat sprachen. Am Zweithäufigsten wandten sich die Kinder und Jugendliche an die Mutter (19%), ein kleinerer Teil an den Vater (4%). Darüber hinaus haben sich 7% anderen Familienmitglieder anvertraut. 5% der Betroffenen haben Unterstützung bei Gleichaltrigen (innerhalb der Familie) gesucht, sowie bei Erwachsenen in Institutionen (5%), Lehrerinnen und Lehrern (3%). Nur 2% wandten sich an sonstige Personen aus dem sozialen Umfeld.

Quelle: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs & Goethe Universität Frankfurt am Main I Studie: Sexuelle Gewalt in der Familie I Titel: „An wen haben sich betroffene Kinder und Jugendliche gewandt?“ I S.69
Haben die betroffenen Kinder und Jugendliche Signale gesendet?

Der zweite Teil der Befragung befasste sich konkret mit dem Senden von Signalen, sei es durch Gespräche, Körpersprache oder Verhalten. Wieder gab ein Großteil der heute Erwachsenen „keine Angabe“ an, was die Annahme unterstützt, dass die Betroffenen bis dato mit niemanden über die Tat sprachen. 36% gaben an, sich jemanden anvertraut und/oder ein anderes Signal gesendet zu haben, 22% nur ein Signal. Insgesamt 2% der Kinder und Jugendlichen bestätigten, bisher in keiner Weise über das Erlebte berichtet oder damit verbundene Gefühle unterdrückt zu haben. 

Die Studie berichtet im Kontext von „Signal“ von Verhaltensveränderungen, Rückzug, Aggressivität, Alkohol- und Drogenkonsum sowie Suizidversuche seitens der Kinder und Jugendlichen. Der Körper ist also permanent auf den Überlebensmodus geschaltet. 

Quelle: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs & Goethe Universität Frankfurt am Main I Studie: Sexuelle Gewalt in der Familie I Titel: „An wen haben sich betroffene Kinder und Jugendliche gewandt?“ I S.70
Fazit:

Die Auswertungen legen dar, dass zu den Personen, denen sich Kinder und Jugendliche anvertrauen, vielfach Familienangehörige zählen. Dies verdeutlicht die Importanz der Familienverhältnisse im Falle eines sexuellen Kindesmissbrauchs. Tatsache ist aber auch, dass Kindesmissbrauch immer noch am häufigsten innerhalb der eigenen Familie geschieht (-> interessierte Leser/innen finden hier einen Artikel zu diesem Thema). Zudem ist kaum ein Kind in der Lage, das Erlebte so konkret auszudrücken, dass Erwachsene einen eindeutigen Rückschluss auf Missbrauch ziehen können. Deshalb ist es umso bedeutsamer, Kinder und Jugendliche über das Thema (sexueller) Missbrauch von Beginn an aufzuklären und auch nur die kleinsten Verhaltensänderungen ernst zu nehmen. 

Kinder und Jugendliche sind auf wachsame Erwachsene angewiesen, nicht nur innerhalb der eigenen vier Wände. 

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

Kommentar verfassen