Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen verursacht tiefe Verletzungen des Vertrauens sowie der körperlichen und emotionalen Integrität der Opfer. Täter/innen nutzen häufig subtile und manipulative Methoden, um sich ihrem Opfer zu nähern und es zu kontrollieren. Welche Erfahrungen haben Betroffene in diesem Zusammenhang gemacht? Diese Frage, die von großer Bedeutung für präventive Maßnahmen ist, bleibt oft unbeantwortet, da es nur begrenzte Daten dazu gibt.
Die “Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011” des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. zählt zu den seltenen Untersuchungen in diesem Bereich und bietet aufschlussreiche Einblicke.
Methodik und Teilnehmerstruktur der Studie „Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011“
Die Untersuchung zog 11.428 Personen heran, von denen 48,1% Männer und 51,9% Frauen waren. Die Altersgruppe der Befragten bewegte sich zwischen 16 und 40 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren. Rund 20% der Befragten gaben an, einen Migrationshintergrund zu haben, wobei 10,1% aus der Türkei und 9,6% aus Russland stammten. Für die weiteren Analysen fokussierte sich die Studie jedoch auf die deutschstämmigen Teilnehmer, die 9.175 Personen repräsentierten.
Zur detaillierten Erfassung von sexuellem Kindesmissbrauch (bis zum Alter von 16 Jahren) und den unterschiedlichen Ausprägungsgraden wurden insgesamt sieben Kategorien eingeführt: sechs spezifische Handlungsformen und eine zusätzliche für “andere sexuelle Handlungen“.

(-> Hinweis: SKM1 beschreibt das “Entblößen des Täters/der Täterin” ohne Körperkontakt. Die Kategorien SKM2 bis SKM6 betreffen sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt. “Sonstige sexuelle Handlungen” beinhalten Aktionen beider Art, z.B. Pornografie.)
Täter/innenstrategien bei sexuellem Missbrauch
Um das Handlungsmuster der Täter und Täterinnen besser zu beleuchten, wurden die Betroffenen detailliert zu den ersten Missbrauchsakten in ihrer Kindheit oder Jugend befragt. Dies umfasste sechs definierte Handlungen, wobei ihnen vier Antwortvarianten von „verleitet werden“ bis „Gewaltanwendung durch den Täter/die Täterin“ gegeben wurden.
Die Ergebnisse zeigten, dass in rund einem Fünftel der Fälle die Täter/innen Gewalt oder Drohungen einsetzten, wobei 17,5% der männlichen und 19,9% der weiblichen Opfer betroffen waren. Mehrheitlich berichteten Betroffene jedoch, sie seien verleitet worden oder die Handlung sei ohne ihr Zutun geschehen. Hierbei sagten männliche Betroffene häufiger, sie seien verleitet worden (39,2%) im Gegensatz zu weiblichen (16,2%). Umgekehrt berichteten Frauen häufiger, dass der Täter/die Täterin ohne Vorwarnung agierte (63,8% gegenüber 43,3% bei Männern).

Die genauen Gründe für diese Unterschiede sind nicht abschließend geklärt, könnten aber mit dem Geschlecht der Täter/innen zusammenhängen. Bemerkenswert ist, dass männliche Opfer bei physischem Missbrauch zehnmal häufiger von weiblichen Täterinnen betroffen waren als weibliche Opfer (15,3% zu 1,5%). Dies deutet an, dass weibliche Täterinnen tendenziell versuchen könnten, männliche Opfer eher zu verleiten, während männliche Täter direkter handeln. Das Geschlecht von Täter/in und Opfer kann somit die Wahrnehmung und Interpretation des Missbrauchs beeinflussen.
Häufige Tatorte bei sexuellem Missbrauch
Eine Analyse der Orte, an denen der Missbrauch stattfand, gibt tiefere Einblicke in die Strategien der Täter/innen. Überwiegend geschah sexueller Missbrauch mit physischem Kontakt im privaten Rahmen, sei es in der Wohnung des Opfers (m: 35,8%, w: 35,2%) oder des Täters/der Täterin (m: 26,4%, w: 24,4%). Dies untermauert die Feststellung, dass Missbrauch oft von Personen aus dem direkten Umfeld des Opfers begangen wird (-> interessierte Leser/innen finden sowohl hier als auch hier Ausführungen zu diesem Thema). Im Gegensatz dazu ereignen sich exhibitionistische Handlungen vornehmlich im Freien. Dabei sind Jungen deutlich häufiger Opfer als Mädchen (m: 43,4%, w: 32,9%).
Öffentliche Einrichtungen, wie Schulen, Sportvereine oder kirchliche Einrichtungen, traten seltener als Missbrauchsorte in Erscheinung. Doch es zeigte sich, dass Mädchen in Schulen und Freizeitstätten vermehrt Missbrauch mit Körperkontakt erleben. Im Sportvereinsumfeld waren hingegen Jungen mit 3,2% gegenüber Mädchen mit 0,6% stärker betroffen. Autos stellten vor allem für Mädchen einen Ort für sonstige sexuelle Handlungen dar (8,5%), während sie für Jungen weniger riskant in den untersuchten Kategorien erschienen. Diese Ergebnisse stimmen größtenteils mit unseren Recherchen für den Artikel „Kindesmissbrauch im Sport“ überein.

Auch die „sonstigen Orte“ zeigen eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Missbrauchsfällen auf. Dies lässt sich wohl zum Teil mit den explodieren Zahlen im Bereich Kinderpornografie erklären (-> interessierte Leser/innen findenhier einen Artikel zu diesem Thema).