Kindeswohlgefährdung: Mangelnde Beteiligung bei Gerichtsverfahren

Das in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Recht auf Beteiligung ist ein grundlegendes Recht für alle Kinder und Jugendlichen. Sie haben das Anrecht, bei sämtlichen Angelegenheiten, die sie betreffen, mitzuwirken. Doch die Realität zeigt laut dem Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention: Eine authentische Beteiligung ist nicht immer gegeben. In einigen Fällen werden Kinder und Jugendliche entweder überhaupt nicht einbezogen oder es werden Formate eingeführt, die lediglich eine vorgetäuschte Beteiligung darstellen.

Dass daraus eine große Hürde für von Kindeswohlgefährdung Betroffener entsteht, ist eindeutig. Schnell kommt die Frage auf: Werden die Kinder in rechtlichen Verfahren überhaupt ausreichend gehört?

Herausforderungen bei der Umsetzung rechtlicher Grundlagen

Aus dem oben genannten Recht ergibt sich ein erhöhter Aufwand für Gerichte und Verwaltungen. Eine der Herausforderungen besteht darin, dass Verfahren kindgerecht gestaltet werden müssen, um eine adäquate Ermittlung des Geschehens und des Kindeswohls zu ermöglichen. Unterschiede in der Ausstattung von Gerichten, der Durchführung von Anhörungen und der Bestellung von Verfahrensbeiständen führen zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung der rechtlichen Grundlagen für die Beteiligung von Kindern, zum Beispiel im FamFG-Verfahren (Familiengerichtliches Verfahren). Vielleicht werden gerade deshalb auch immer weniger Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung seitens des Familiengerichts veranlasst.

Praxis zeigt fehlende Anhörungen bei Kindeswohlgefährdung 

Eine Studie, die 318 Fälle untersuchte, zeigte, dass im Rahmen von Kindeswohlverfahren 60,4% der betroffenen Kinder und Jugendlichen keine Gelegenheit erhalten, angehört zu werden. Dieses Ergebnis ist besorgniserregend, da es darauf hindeutet, dass in über der Hälfte der Fälle die Erfahrungen und Erlebnisse der betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend berücksichtigt werden, was eine umfassende Beurteilung des Kindeswohls erschwert. 

Interessanterweise ist die Situation bei den 14- bis 18-Jährigen etwas besser, aber dennoch nicht zufriedenstellend: 21,2% der Jugendlichen in dieser Altersgruppe werden im Verlauf eines Kindeswohlverfahrens nicht angehört. Die vergleichsweise doch niedrige Zahl könnte sich auch damit erklären lassen, dass ab der Vollendung des 14. Lebensjahres eine Anhörung gesetzlich vorgeschrieben ist. 

Quelle: „Gerichtliche Anhörungen“ I Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention I S. 29 und Bindel-Kögel et al. in Münder, 2017
Die Perspektive der von Kindeswohlgefährdung betroffenen Minderjährigen

In einer Umfrage, die 2014 vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) im Auftrag der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte durchgeführt wurde, wurden 48 Kinder und Jugendliche zur Wahrnehmung ihrer Beteiligung befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass sie sich während Gerichtsverfahren oftmals schlecht informiert, eingeschüchtert oder von den beteiligten Erwachsenen nicht ernst genommen fühlten. Dies betont die Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche angemessen in rechtlichen Verfahren einzubeziehen und ihre Beteiligung zu fördern. Eine kindgerechte und einfühlsame Herangehensweise kann das Vertrauen der jungen Menschen in das Justizsystem stärken und ihre Rechte besser wahren. 

Kinder- und Jugendgremien in Deutschland: Verbesserungspotential

Die aktuelle Situation von Kinder- und Jugendgremien in Deutschland zeigt laut dem Deutschen Kinderhilfswerk ebenfalls, dass es noch viel Raum für Verbesserungen gibt. Nur etwa 5% der Kommunen verfügen über dauerhafte Kinder- und Jugendgremien, und lediglich 1% bis 2% der Kommunen haben hauptamtliche Kinderbeauftragte oder Kinderbüros, die die Interessen der Kinder gegenüber den Verwaltungen und Gerichten vertreten. Eine flächendeckende Absicherung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, insbesondere im Falle von Missbrauch, Gefährdung und co., ist somit noch nicht erreicht.

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

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