Kindeswohlgefährdungen 2020 – neuer Höchststand erreicht!

Am 21.07.2021 meldete sich das Bundesamt für Statistik (Destatis) mit der Auswertung zur Entwicklung von Kindeswohlgefährdungen in 2020.

Zur Erinnerung: Ausgewertet werden hierbei die sogenannten 8a-Verfahren, die von den Jugendämtern bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung eingeleitet werden. Ein Verdacht kann sich z. B. aus Hinweisen durch Verwandte, Bekannte, Nachbarn, Anonyme Hinweisgeber, Einrichtungen, Jugendamtpersonal selbst, Schule, Kita, Polizei usw. ergeben. Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes droht oder bereits eingetreten ist. 

Die Kernaussagen der Auswertung lauten:

  1. Mit 60.600 Fällen der akuten oder latenten Kindeswohlgefährdung liegt ein absoluter Anstieg von rund 5.000 Fällen und damit 9% gegenüber dem Vorjahr vor.
  2. Vernachlässigung schlägt mit 35.110 Fällen (58%) zu Buche, psychische Misshandlung mit 20.887 Fällen (26,3%), körperliche Misshandlung mit 15.943 Fällen (34,5%) und sexuelle Gewalt mit 3.223 Fällen (5,3%).
  3. 50% der Betroffenen Kinder war unter 8 Jahre alt.

Das Daten-Portfolio zur Pressemeldung ist recht ausführlich gestaltet. Gerade die Destatis Tabellen 22518 ermöglichen weiterführende Analysen auf Bundeslandebene. Allerdings fehlt auf Bundeslandebene leider die Aufstellung nach Alter und Geschlecht.

Was die offizielle statistische Auswertung insgesamt, wie üblich, vermissen lässt, ist die Auswertung der Entwicklung in Relation zur Kinderbevölkerung bzw. zu ihrer Veränderung. Diese Perspektive ist wesentlich aussagekräftiger als ein rein absoluter Vergleich.

Exkurs: Wenn in 2019 “10 Äpfel” und in 2020 “11 Äpfel” schlecht wurden, dann haben wir einen absoluten Anstieg von 1 bzw. 10%. Genau so kommuniziert die offizielle Statistik. Allerdings wird schnell klar, dass die obige Aussage ohne die Gesamtzahl der Äpfel im Korb keine umfassend sinnvolle Interpretation zulässt.

Es ist seltsam, dass Destatis, obwohl die Bevölkerungszahlen in ihrer Datenbank verfügbar sind, keine Zusammenführung der Daten vornimmt. Man muss das etwas mühsam manuell umsetzen. Es lohnt sich allerdings.

Die Betrachtung der relativen Veränderung der Fälle nach Altersgruppen legt das eine oder andere interessante Detail offen und lässt die “9% Steigerung ggü. 2019” Aussage zum Teil als zu positiv erscheinen.

Kindeswohlgefaahrdung 2020 nach Altersgruppen
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Schauen wir uns z. B. die Kita Altersgruppen an: 1-2 und 2-3 Jahren. In absoluten Zahlen gab es bei akuten und latenten Fällen von Kindeswohlgefährdung zwischen 2019 und 2020 eine Veränderung von 1-2 Jahre: 3490 -> 3855 Fällen (+10,45%); 2-3 Jahre: 3437 -> 3794 (+10,38%).

In Relation zur Bevölkerung waren es 1-2 Jahre: 0,4395% -> 0,4920% (+11,94%); 2-3 Jahre: 0,4283% -> 0,4752% (+10,95%). Kleine aber feine Unterschiede aber nicht wirklich sehr weit von den offiziell verkündeten 9% bezogen auf alle Altersgruppen und Fälle, könnte man meinen.

Bei den Gruppen 3-4 und 4-5 Jahren geht es etwas weiter. Absolut betrachtet stellen wir von 2019 auf 2020 fest: 3-4 Jahre: 3355 -> 3987 (+18,83%); 4-5 Jahre: 3127 -> 3638 (+16,34%).

Relativ zur Bevölkerung fallen die Zahlen dann so aus: 3-4 Jahre: 0,4153% -> 0,4945% (+19,07%); 4-5 Jahre: 0,3998% -> 0,4482% (+12,10%).

Bei diesen Altersgruppen ergibt sich offensichtlich ein teils deutlich negativeres Bild.

Übrigens belief sich die Veränderung bei den 3-4 Jährigen von 2018 auf 2019 absolut betrachtet auf +13,38% und in Relation zur Bevölkerung auf +9,03%. Bei 4-5 Jährigen absolut +6,76% und relativ zur Bevölkerung lediglich +4,63%.

Das legt die Vermutung nahe, dass neben dem seit Jahren anhaltenden traurigen allgemeinen Trend nach oben bei der Zahl der Kindeswohlgefährdungen einige Altersgruppen es im Corona-Jahr 2020 doch überdurchschnittlich schwerer hatten.

Das geht aus der offiziellen Mitteilung der Behörden jedenfalls nicht unbedingt hervor. Bewußt oder unbewußt sei jetzt dahin gestellt. Es lohnt sich wie gesagt, die Zahlen in diesem Kontext stets etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Unsere Aufstellung “Kindeswohlgefährdung 2018-2020 nach Altersgruppen” kann hier heruntergeladen werden.

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

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