Sexueller Kindesmissbrauch und das Angebot „Hilfetelefon“

2010 gilt als das bisher bedeutsamste Jahr im Bereich der Aufklärungsarbeit von Kindesmissbrauch in Deutschland. In diesem Jahr sprachen zig-tausende Betroffene erstmals öffentlich über ihre Missbrauchserfahrungen in der katholischen Kirche und bewirkten eine gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema, die es so vorher noch nicht gegeben hat. Kurz danach wurde sie „geboren“: die erste telefonische Hotline der katholischen Kirche, die in den ersten drei Tagen über 13000 Anrufversuche verzeichnete. Zeitgleich beschloss auch die Bundesregierung die Einrichtung eines Runden Tisches mit dem Ziel, eine unabhängige Anlaufstelle für Opfer von Kindesmissbrauchbereitzustellen: das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) entstand.

Anlaufjahr 2010 – 2011: Erste Daten zum Hilfetelefon Sexueller Kindesmissbrauch

Laut des Abschlussberichts der Unabhängigen Beauftragten erfasste das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch bereits im ersten Jahr (April 2010 bis März 2011) 2917 Betroffene. Sie waren zu 63,2 % weiblich und zu 36,5 % männlich. 0,2 % der Betroffenen distanzierten sich von der Geschlechtszuordnung. In 86 Fällen handelte es sich um ein minderjähriges Kind, der jüngste Anrufer war ein 6 Jahre alter Junge.

Quelle: Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs I S. 44

Zum Vergleich: 2010 wurden insgesamt 14407 Fälle von (sexuellem) Kindesmissbrauch polizeilich erfasst (Dunkelziffer ausgenommen).

2016 – 2017: Nicht nur mehr, sondern auch jüngere Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs   

Mit Unterstützung von N.I.N.A. e.V. wurde im Zeitraum Januar 2016 bis Februar 2017 eine Gesamtanzahl von 3363 Anrufen beim Hilfetelefon Sexueller Missbrauch des UBSKM registriert und vom Universitätsklinikum Ulm ausgewertet. Dies verzeichnet einen leichten Anstieg verglichen mit den Daten 2010/2011.

Wie viele dieser Anrufer/innen waren nun minderjährig? Dazu fokussierte sich die Untersuchung spezifisch auf den Bereich sexueller Kindesmissbrauch in Institutionen. Mit 172 Kindern unter 18 zum Tatzeitpunkt bzw. rund 105 unter 21-jährigen aktuell ist ein Anstieg an minderjährigen Opfern (allein im Bereich Institutionen!) ersichtlich. Auch scheinen im Vergleich eher jüngere Kinder Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch zu sein (rund 65 Kinder bis 5 Jahre vs. 12 Kinder zwischen 16 und 17 Jahren).

Quelle: Sexueller Missbrauch in Institutionen I Uniklinik Ulm – S. 10
2019: Hilfetelefon wird ausgebaut – und benötigt

Neben dem Hilfetelefon Sexueller Missbrauch wurden nun weitere Hotlines wie „Fonds Sexueller Missbrauch“, „Fonds Heimkinder“, „Infotelefon Aufarbeitung“ und „Hilfetelefon Forschung“ ins Leben gerufen. Der Verein N.I.N.A. e.V. erfasste dadurch im Jahr 2019 insgesamt 10223 (versuchte) Anrufe. Mit 3958 zustande gekommenen Gesprächen insbesondere bei dem Hilfetelefon Sexueller Missbrauch ist gegenüber den Vorjahren ersichtlich, dass sich immer mehr Kinder (bei dieser Anlaufstelle) melden.

Quelle: Jahresbericht 2019 N.I.N.A. e. V. I S. 22

Fazit: Natürlich lässt sich aufgrund fehlender Vergleichsdaten anderer Hotlines nicht genau festlegen, wie viele betroffene Kinder sich nun wirklich an Hilfetelefone wenden. Fakt ist jedoch: Nur ein geringer Teil dieser Kinder sucht sich überhaupt Hilfe bzw. kann sich überhaupt Hilfe suchen. Oftmals sind sie einfach noch zu jung, um zu verstehen, was mit ihnen geschieht, geschweige denn, sich über Hilfsportale zu informieren. Wie viele dieser Kinder warten also verzweifelt auf Hilfe?

AKTUELLER LINK: Interaktiver Report PKS 2013-2022

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