Über zwei Jahrzehnte ist es mittlerweile her, dass die Kirche sich erstmals öffentlich Anschuldigungen des (sexuellen) Kindesmissbrauchs stellen musste. Auslöser war damals die US-amerikanische Tageszeitung „Boston Globe“, die im Jahr 2002 als erster Mediendienstleister mehr als 20 Artikel über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche veröffentlichte.
Fakt ist: Missbrauchsfälle werden am häufigsten im Zusammenhang mit kirchlichen Einrichtungen entdeckt (44%), davon 29% in der katholischen und 11% in evangelischen Institutionen (-> siehe Artikel Kindesmissbrauch in Heimen – (k)ein geschützter Raum?)
Katholische Kirche ordnet bisher größte Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch an
Sie gilt als die Studie im Bereich sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland: die MHG-Studie. Nach dem Bekanntwerden von sexuellen Missbrauchsfällen beauftragte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) ein interdisziplinär besetztes Konsortium mit der Forschung zur Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs durch katholische Kleriker in Deutschland. Dazu wurden 38156 Personalakten von Klerikern aus dem Zeitraum von 1946 bis 2014 untersucht. Die Ergebnisse gelten als die Wichtigsten zu diesem Thema, gerade, da laut der Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vergleichbare Angaben zur Häufigkeit sexueller Viktimisierung von Kindern in zum Beispiel der evangelischen Kirche bisher nicht vorliegen.
Beschuldigte Kleriker des sexuellen Kindesmissbrauchs
Bei insgesamt 1670 Personen fanden sich Hinweise auf Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen. Dies entspricht einem Anteil von 4,4 % an der untersuchten Population. Bei Diözesanpriestern betrug der Anteil 5,1 %, bei hauptamtlichen Diakonen 1,0 % und bei Ordenspriestern 2,1 %.
Das Universitätsklinikum Ulm stellt ergänzend eine Geschlechterverteilung der Täter/innen dar. Erhoben wurden die Daten von insgesamt 55 Personen. Auffallend ist, dass das männliche Geschlecht überwiegend vertreten ist (45 Fälle, 82% der Fälle), Frauen sind mit 3 Fällen (5%) vertreten. In 1 Fall wären die Täter/innen sowohl männlich als auch weiblich, in 6 Fällen unklar.
Betroffene Kinder im Fokus
Der MHG-Studie zufolge konnten insgesamt 3677 Kinder als Opfer sexuellen Missbrauchs zugeordnet werden. Davon waren 2309 männlich (62,8 %) und 1284 weiblich (34,9 %). Zwei Drittel dieser Kinder waren beim ersten sexuellen Missbrauch 13 Jahre alt oder jünger (66,7%), jedes dritte Kind über 14 Jahre (33,3%). Der Durchschnitt beträgt 12 Jahre.
Verübte Arten des sexuellen Kindesmissbrauchs
Die Liste der Missbrauchshandlungen ist lang und reicht von sogenannten Hands-On bis Hands-Off-Übergriffen. Wie die folgende Auswertung zeigt, wurden drei Arten besonders häufig genannt: unangemessene Berührung Betroffener über der Kleidung (1084-mal), Berührung primärer Geschlechtsteile Betroffene unter der Kleidung (826-mal) und Berührung Betroffener unter der Kleidung (701-mal). In 1360 Fällen lagen in irgendeiner Form Masturbationshandlungen vor, in 582 Fällen genitale oder manuelle Penetration.
Dabei handelt es sich um keine Einzeltaten. Wie das Universitätsklinikum Ulm darstellt, erleben bzw. erlebten betroffene Kinder mehrmalig oder regelmäßig wiederkehrend sexuellen Missbrauch.
Die Studie zeigt also: Sexueller Kindesmissbrauch im kirchlichen Kontext war immer und wird immer Thema sein. Das fatale daran ist, dass bisher lediglich in 38,3 % der Fälle eine Strafanzeige erfolgte. 67,1 % der Strafverfahren wurden wieder eingestellt, überwiegend wegen Verjährung.